Rolf Becker, Spaß mit der Schlagzeilen-Sau

D-ROLF, der berühmtester Trabantfahrer der Welt inszeniert sein Leben als Ereignis - und genießt, dass alle schauen

von Steffen Könau, Mitteldeutsche Zeitung

Sie hatten schon mal welche die mit einem Reitpferd oder einem Rolls Royce einflogen. Und letztens erst war ein Typ da, der auf Skiern durch das Hafenbecken zischte. "Aber mit einer Badewanne, nee, kannten die nicht."

Da musste erst Rolf Becker kommen und beim Hongkong Standard durchläuten: "Ich rudere damit morgen durch den Hafen", kündigte er an, "das ist ein Ereignis". Die Redakteurin von Südostasiens größter Tageszeitung reagierte. "Am Sonnabend danach hatten wir die Titelseite."

Frechheit siegt, und der Hallenser Rolf Becker, seit 17 Jahren unterwegs als Dreh -Orgel- Rolf, kann recht frech sein. Dem US-Außenminister James Baker hat er einen FDJ-Ausweis überreicht, in dem als Beruf "Kapitalist" stand. Thüringens Ministerpräsident Vogel ließ er zur Eröffnung einer neuen Produktionsstrecke seines Sponsors Filinchen eine Knäckegebäck-Kette durchbeißen. Und Michael Gorbatschow beschenkte er in Anspielung auf den Eierwurf gegen Kanzler Kohl mit einem Hühnerei. Dreh-Orgel-Rolf, das steht für Fans und Feinde fest, ist ein durchgeknallter Spaßvogel, der immer dort auftaucht, wo eine Kamera surrt und Blitzlicht gewittert.

Oben in seinem Atelier im Haus am Stadtrand aber wirkt der Orgeldreher nicht im Entferntesten so lustig. Natürlich, Rolf Becker sprudelt über vor Geschichten und Geschichtchen, er präsentiert die zentimeterdicke Sammlung von Zeitungsausschnitten, Fotos und zitiert Absätze aus seiner Autobiografie, dem Bestseller, "Nicht ohne meinen Trabi!"

Doch die Melone, die Rolf Becker in die gefürchtete Drehrolforgel verwandelt, bleibt in der Garderobe, Becker auf dem Teppich. "Man muss sich clever ins Gespräch bringen", doziert der Mann in den karierten Latschen über die Marktwirtschaft, "wichtig sind Kompetenznachweise, die Kunden ansprechen.

Becker klingt geschäftsmäßig, ganz kühler Kalkulator, der mit sicherem Blick Marktchancen abschätzt, wenn es sein muss sogar Eklats entwirft und Provokationen durchführt. Der Suhler Mondscheinfriseuse Ilka Brückner etwa, die wegen Verstoßes gegen das Ladenschlussgesetz eine Ordnungsstrafe bezahlen sollte, hat er geraten, lieber in den Knast zu gehen. Die Öffentlichkeitswirkung sei einfach besser. Anschließend hat er seinen Partner Zappendorfer Wurstwaren vor lauter Fotografen ein Fresspaket fürs Kittchen packen lassen. "Lief so gut die Geschichte", sagt der Tumult-Designer, "dass wir gleich noch die Ankündigung nachgeschoben haben, dass jetzt bald die Mondscheinwurst auf den Markt kommt."

Becker weiß, wie's läuft. "Nur das Spektakuläre", analysiert er, "garantiert größtmögliche Aufmerksamkeit." Und größtmögliche Aufmerksamkeit könnte glatt sein zweiter Vorname sein: Orgeldreh-Rolf ist ein Geschöpf der Mediengesellschaft, er gibt den Narren und spielt mit der Bildersucht von Zeitungen und Fernsehsendern, von denen er eines begriffen hat: "Die brauchen zwischen Zimbawe und Zappendorf immer eine Sau, die sie durchs Dorf jagen können." Wie er dazu geworden ist, weiß der 53-Jährige so genau auch nicht mehr. Nur dass der Job in den halleschen Pumpenwerken, der ihm nach dem Studium zugefallen war, sich nicht unbedingt anfühlte, "als könnte ich das mein Leben lang aushalten." Morgens pünktlich raus, abends pünktlich rein, dazwischen Formulare, Versammlungen und Formulare. So hatte er sich das nicht vorgestellt in den Kinderträumen von der großen Konstrukteurskarriere, die er an der halleschen Station Junger Techniker träumte.

Becker leidet, Becker zweifelt, Becker geht. "Ich wusste nicht, was ich wollte, mir war nur klar, das war es nicht." In der DDR des Jahres 1976, in der jeder und jedes seinen festen Platz zu haben hat, startet Rolf Becker, wegen ständiger Quertreiberei "ausgetreten worden" aus der Einheitspartei, eine Art private Sinnsuche. Er ist Reiseleiter und Buchhändler, Lagerarbeiter, Haushaltauflöser und Mitropa-Kellner, heimatlos, lustlos, schließlich sogar arbeitslos. "Als mein Chef mal meinte, ich müsse gar nicht mehr wiederkommen, habe ich tschüs gesagt." Zwei Monate trabt er morgens weiter brav aus dem Haus, damit die Familie nur ja nichts merkt. "Dann kam ich auf die Drehorgel." Für Rolf Becker, der damals nicht singen kann und nicht zaubern, nicht Gitarre spielen und nicht malen, "was für einen Künstler in der DDR nicht von Vorteil war", das ideale Instrument. "Drei Monate später habe ich für 1500 Mark Gage in Fünf-Sterne-Hotels gespielt." Für normale Auftritte gibt es dreißig Mark, doch "was ist ein normaler Auftritt?" Becker, der sehr gerissen sein kann, klärt die wichtigste Frage zuerst. Ja, jeder Bühnenwechsel, jedes Mal Umziehen berechtigen ihn, seine Gage zu kassieren. "Da habe ich nach jedem Lied den Hut gewechselt, und hatte 500 Mark am Tag."

Er ist der Rolf, er darf das, auch wenn ein Stasimann durch die Zähne knirscht: "Becker, der Aal ist ein struppiges Vieh gegen Sie." Rolf grinst nur freundlich. Als er dann ein Gastspiel auf der Leipziger Messe nutzt, einem ARD- Kamerateam mitzuteilen, das Bach und Händel zwar tot seien, er aber ja zum Glück noch lebe, ist Schluss mit lustig. Die Stasi schlägt zu. "Acht Mann hoch haben die Wohnung auseinander genommen." Anschließend ist nichts mehr, wie es war. Die Steuerfahndung ermittelt, die Ehe bröckelt, die Nachbarn tuscheln und der Drehorgelmann steckt bis zur Melone in Depressionen. "Ich war kategorisiert als Schwerkrimineller." Rolf hat sich rausgerappelt. "Heute kann mich nichts mehr erschüttern", verkündet er. Alles, was schlimm sein könnte, war schon da. Sooo dick ist die Stasiakte, zeigt er an, und fährt Daumen und Zeigefinger auseinander, bis gut eine Packung Filinchen dazwischen passen würde.

Aber vorbei! Vergessen die späte Flucht aus der DDR im Oktober '89, vergessen der schwere Start in die Nachwendezeit. "Ich setzte auf self motivation", tönt der Guiness-Buch-Rekordhalter, "und mach' nur noch mit denen, die mit mir wollen."

Das System Rolf, entstanden in jahrelangen Selbstversuchen, ist längst unabhängig von Erfolg oder Misserfolg. Die Buchlesung ohne Zuhörer in der Prignitz? Das schreckliche Hotel im Iran? Der schlimme Knatsch auf der Trabi-Rallye? Rolf wiegt den Grauschädel und befindet, dass "Scheitern dazu gehört, es kommt drauf an, was man daraus macht." Am besten sind natürlich Schlagzeilen. "Dreh- Orgel- Rolf in Australiens Outback verschollen" lauten die oder "Verrückter Deutscher im Kartonauto", und sie sind in der Regel gut dazu, imagebildend weitergetragen zu werden zu den Einkaufsmärkten und Autohäusern von Köthen oder Köln, wo, wie Rolf weiß, "die Brötchen verdient werden". Beckers anfängliches Staunen über die große Nachfrage nach den Nachrichten über seine bizarren Heldentaten ist einer stummen Selbstverständlichkeit gewichen, die in langen Listen vermerkt, wann wer wie viel worüber berichtet hat. Die Tendenz ist eindeutig: "Wenn ich in Hongkong Schlagzeilen mache, ist das immer eine Schlagzeile zu Hause."

So kommt er rum in der Welt, der Ur-Hallenser, der manchen Satz demonstrativ mit einem langgezogenen "meener" beschließt wie die ganz alten Glauchaer. So um die 70 Länder hat er besucht in den letzten Jahren, Prominente und Politiker getroffen, in Ställen geschlafen, Nobelherbergen und auf dem Trabisitz, und das eigene Tun dabei einordnen gelernt. "Egal, ob Iran, Sri Lanka oder Australien, die Leute sind überall gleich - so wie du ihnen gegenübertrittst, treten sie dir gegenüber." Ein kleiner Philosoph steckt da im Narrenkostüm, der ganz ernsthaft sprechen kann. "Ich sehe die Welt aus der Perspektive der Menschen, die da leben, nicht aus dem Blickwinkel des Pauschaltouristen." Aber nicht früh aufstehen! Nicht jeden Tag ans Fließband trotteln! "Ich hab' das Risiko, aber ich habe auch den Spaß", zählt er zufrieden zusammen und zieht einen Strich: "Was willste mehr?"

Becker ahnt zwar leise, dass aus manchem Fenster in der Nachbarschaft neidische Blicke schießen, wenn er mit seinen aufgemotzten Trabanten um die Kurve kullert. Aber sollen sie doch, ruft es da aus dem Schreibtischstuhl, sollen sie! "Ich habe mehr Feinde als andere, aber auch bessere Freunde." Und nicht mal die bräuchte er, wenn es hart auf hart kommt, sagt Rolf Becker, der oft genug allein war in Sturm und Monsunregen, ohne Stadtplan und Benzin, irgendwo am Ende der Erde. "Ich komme auch allein zurecht, hier oder sonst wo."

Die Welt ist groß, und sie schreit nach Ereignissen, nach Bildern und Spektakeln, die inszeniert sein wollen; nach Aufsehen und Trubel, nach bunten Hunden, in deren schrillem Schatten Wirtschaftsbosse und Politiker nicht gar so glanzlos wirken. Viel zu tun für Rolf Becker. Nach Australien will er nächstens, gemeinsam mit dem Transportkonzern McPhee die Formel 1 im Trabi aufmischen. Das wird ein Ding, zappelt er jetzt schon, ganz groß! Und nicht mal eine Drehorgel braucht man dazu noch, hat Becker bemerkt, ehemals das wichtigste "Modul zur Selbstdarstellung".

Der Dreh-Orgel-Rolf, der ein Kind der DDR war, weil "die DDR mir so viele andere Möglichkeiten nicht gelassen hat", darf langsam Platz machen für eine digitale Reinkarnation. "D-Rolf", schmeckt Becker seinen neuen, knackigen Namen genüsslich ab, "passt viel besser zu ´nem Event Manager."


Drehorgel-Rolfs Buch "Nicht ohne meinen Trabi",
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